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Urteil vom 12. Februar 2004, Große Kammer

Privatbeteiligung an Strafverfahren

Art. 6 (1) EMRK

Sachverhalt:

Die Bf. erstattete am 31.7.1995 bei der Gendarmerie in La Plaine des Cafres (La Réunion) Anzeige gegen ihre beiden erwachsenen Kinder. Sie brachte vor, die beiden hätten ihr unter Anwendung von Gewalt gegen ihren Willen eine Injektion verabreicht. Bei der Bf. wurden tatsächlich Einstich­spuren festgestellt. Nachdem ein Zeuge ausfindig gemacht werden konnte, wurde auch eine Injekti­onsspritze gefunden, die Spuren chemischer Substanzen aufwies. Daraufhin wurde eine Vor­untersuchung wegen gefährlichen bewaffneten Angriffs eingeleitet. Die Bf. schloss sich dem Ver­fahren als Privatbeteiligte an.

Das Verfahren wurde am 14.3.1997 mangels ausreichender Beweise für eine Tatbegehung eingestellt. Der Untersuchungsrichter stellte fest, dass der Sohn der Bf., den sie beschuldigte, ihr die Injektion verabreicht zu haben, das département verlassen und sich wieder zu seiner Zahn­arztpraxis in Gabun begeben habe. Die Substanz, die er seiner Mutter verabreicht hatte, sei in dieser Dosis medizinisch harmlos gewesen und angesichts des Fehlens von Informationen zu seinem genauen Aufenthaltsort und der Schwierigkeiten bei der Durchsetzung eines Rechtshilfe­ersuchens an Gabun erscheine eine Einvernahme des Verdächtigen nicht durchführbar. Der Ein­stellungsbeschluss wurde der Bf. noch am selben Tag zugestellt.

Am 7.4.1997 erschien die Bf. in der Kanzlei des Untersuchungsrichters und behauptete, dass ihr keine Kopie des Einstellungsbeschlusses zugestellt worden sei. Sie weigerte sich daher, die von einem Kanzleibeamten aufgesetzte Berufungsanmeldung zu unterschreiben und behauptete, sie habe selbst eine solche aufgesetzt und diese am selben Tag in der Kanzlei einge­bracht.

Mit Urteil vom 8.7.1997 wies die Anklagekammer des Berufungsgerichts in Saint-Denis (Réunion) die Berufung als unzulässig zurück, da sie erst nach Ablauf der Frist erhoben worden sei und die Bf. es verabsäumt habe, die Berufungsanmeldung zu unterschreiben. In ihrem Rechtsmittel an den Cour de cassation machte die Bf. mehrere Verletzungen der Strafprozess­ordnung durch das Berufungsgericht geltend. Insbesondere brachte sie vor, dass das Urteil von Richtern erlassen worden wäre, die nicht allen Verhandlungen beigewohnt hätten. Das Rechts­mittel wurde am 21.4.1998 vom Strafsenat des Cour de cassation verworfen.

Rechtsausführungen:

q Die Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (Recht auf ein faires Verfahren). Sie bringt vor, das Verfahren vor dem Cour de cassation hätte nicht den Anforderungen dieser Bestimmung entsprochen.

q Zur Verfahrenseinrede der Regierung:

Die Reg. bringt vor, dass nur der zivilrechtliche Aspekt des Art. 6 EMRK betroffen sei, da die Bf. im gegenständlichen Verfahren nicht Angeklagte, sondern Privat­beteiligte war. Die Frage wäre daher, ob die Gerichte im Falle der Teilnahme eines Privatbeteiligten an einem Strafverfahren über Streitigkeiten in Bezug auf zivil­rechtliche Ansprüche und Verpflichtungen entscheiden müssten. Das Recht des Opfers, Schadenersatz für das von einem Straftäter zugefügte zivilrechtliche Un­recht zu fordern, betreffe einen zivilrechtlichen Anspruch iSv. Art. 6 EMRK. Die Privatbeteiligung für sich wäre jedoch nicht ausreichend, um ein Verfahren a priori in den Anwendungsbereich des Art. 6 (1) EMRK zu bringen, da das Opfer nicht immer seine zivilrechtlichen Ansprüche verfolgen würde, sondern als einziges Ziel auch die Teilnahme am Strafverfahren haben könnte. Ein Opfer müsse daher unzweideutig seinen Anspruch auf Entschädigung für den erlittenen Schaden geltend machen und damit den Ausgangspunkt für die „Streitigkeiten“ setzen, um Art. 6 EMRK anwendbar zu machen. Angesichts dieser Überlegungen kommt die Reg. zu dem Schluss, dass Art. 6 (1) EMRK nicht an­wendbar sei, da die Bf. es verabsäumt habe, einen Anspruch auf Entschädi­gung für die durch die Straftat erlittenen Nachteile geltend zu machen.

Der GH ist der Ansicht, dass seine bisherige Rechtsprechung bezüglich der Anwendbarkeit von Art. 6 EMRK auf Strafverfahren mit Privatbeteiligung eine Reihe von Nachteilen mit sich bringt, vor allem hinsichtlich der Rechtssicherheit für die Parteien. Der GH will diese Unsicherheit beseitigen, insbesondere weil in einer Reihe von Konventionsstaaten ähnliche Systeme angewendet werden.

Wenngleich der GH die eigenständige Bedeutung des Begriffs „zivilrecht­liche Ansprüche und Verpflichtungen“ festgestellt hat, hat er doch zugleich be­tont, dass das Recht des betroffenen Staates nicht ohne Belang ist. Der GH er­achtet es daher für notwendig, die französische Rechtslage bezüglich der Straf­verfahren mit Privatbeteiligung zu untersuchen.

Nach französischem Recht steht es dem Opfer einer Straftat frei, seine zivil­rechtlichen Ansprüche im Strafverfahren oder in einem Zivilprozess geltend zu machen. Die strafrechtliche Option, die den GH im vorliegenden Fall beschäftigt, wird durch eine Klage des Privatbeteiligten ausgeübt. Das Opfer kann entweder nach Einleitung der Strafverfolgung einen Antrag auf Beteiligung am Verfahren stellen oder eine zivilrechtliche Klage bei dem Gericht einbringen, bei dem das Strafverfahren anhängig ist. Als Privatbeteiligter hat das Opfer Parteistellung im Strafverfahren und das Strafgericht kann ihm Schadenersatz für den durch die Straftat erlittenen Schaden zusprechen. Es kann daher kein Zweifel daran bestehen, dass Strafverfahren mit Zivilbeteiligung zur Erlangung von Schadenersatz nach französischem Recht ein zivilrechtliches Verfahren iSv. Art. 6 EMRK darstellen.

Der GH ist nicht der Ansicht, dass die von der Reg. betonte Unterscheidung zwischen einem Antrag des Opfers auf Beteiligung am Strafverfahren und einer zivilrechtlichen Klage die Anwendbarkeit von Art. 6 EMRK ausschließt. Privatbe­teiligte sind berechtigt, in jedem Stadium des Verfahrens eine Entschädigung zu verlangen. Die Tatsache, dass sie unter Umständen in einem speziellen Abschnitt des Verfahrens auf die Geltendmachung von Schadenersatz verzichten, beein­trächtigt weder die zivilrechtliche Natur ihres Anspruchs, noch beseitigt es ihr Recht, einen solchen Anspruch zu einem späteren Zeitpunkt zu erheben.

Die Reg. bringt auch vor, dass eine „Streitigkeit“ (contestation) erst vorliegt, sobald ein Anspruch auf Entschädigung geltend gemacht wurde. In diesem Zu­sammenhang stellt der GH fest, dass das Recht auf ein faires Verfahren eine so bedeutende Rolle in demokratischen Gesellschaften spielt, dass es keine Recht­fertigung für eine restriktive Interpretation geben kann. Der Geist der Konvention verlangt, dass der Begriff „contestation“ nicht zu technisch ausgelegt wird und dass ihm ein substantieller und kein formeller Inhalt beigemessen wird. Wenn ein Antrag auf Beteiligung am Strafverfahren der Erhebung einer Schadenersatzklage entspricht, ist es überdies gleichgültig, wenn das Opfer auf die formelle Geltendmachung seines Entschädigungsanspruchs verzichtet hat. Schon durch den Er­werb der Stellung eines Privatbeteiligten machen Opfer klar, welche Bedeutung sie nicht nur der Verurteilung des Täters, sondern auch der Sicherstellung der finanziellen Widergutmachung beimessen.

In jedem Fall kann Art. 6 EMRK auch anwendbar sein, wenn keine finanzielle Entschädigung begehrt wird. Es reicht aus, wenn der Ausgang des Verfahrens für den betreffenden „zivilrechtlichen Anspruch“ ausschlaggebend ist.

Es besteht daher kein Zweifel, dass nach französischem Recht ein Verfah­ren, in dem jemand behauptet, Opfer einer Straftat geworden zu sein, ab dem Moment, in dem er als Privatbeteiligter an diesem teilnimmt, ausschlaggebend für seine „zivilrechtlichen Ansprüche“ ist. Art. 6 EMRK ist in diesem Fall schon im Stadium der Voruntersuchung anwendbar.

Der GH stellt des Weiteren fest, dass selbst wenn Strafverfahren nur für die strafrechtliche Anklage entscheidend sind, für die Anwendbarkeit des Art. 6 EMRK ausschlaggebend ist, ob die zivilrechtliche Komponente eng verbun­den mit der strafrechtlichen bleibt. Entscheidend ist mit anderen Worten, ob das Strafverfahren die zivilrechtliche Komponente beeinflusst. Umso mehr muss Art. 6 EMRK auf Verfahren anwendbar sein, die sich sowohl auf die strafrecht­liche Anklage als auch auf die zivilrechtlichen Aspekte des Falles beziehen.

Der Cour de cassation anerkennt das Prinzip ausschließlich für Zwecke der Strafverfolgung geführter Zivilverfahren. Nach Ansicht des GH stößt die Anwend­barkeit des Art. 6 EMRK in solchen Fällen an ihre Grenzen. Die Konvention ge­währt kein Recht auf „persönliche Rache“, wie die Bf. behauptet, oder auf eine actio popularis. Daher kann das Recht, dass dritte Personen strafrechtlich verfolgt oder verurteilt werden, nicht für sich allein geltend gemacht werden. Es muss untrennbar mit der Ausübung des Rechts, ein Zivilverfahren anzustrengen, ver­bunden sein, selbst wenn dies nur zur Sicherstellung einer symbolischen Wieder­gutmachung oder zum Schutz eines zivilen Rechts wie dem „guten Ruf“ geschieht. Auf jeden Fall muss ein Verzicht auf ein solches Recht in einer unzweideutigen Weise erfolgen.

Der GH kommt zu dem Ergebnis, dass ein Strafantrag in den Anwendungsbe­reich des Art. 6 (1) EMRK fällt, sofern nicht einer der eben ge­schilderten Ausnahmefälle vorliegt.

Ein solcher Ansatz wird der Notwendigkeit gerecht, die Rechte der Opfer und ihre angemessene Stellung in einem Strafverfahren zu gewährleisten. Die bloße Tatsache, dass unterschiedliche Anforderungen an ein faires Verfahren in einem Zivilprozess einerseits und einem Strafverfahren andererseits gestellt wer­den, bedeutet nicht, dass der GH die Notlage der Opfer ignorieren und ihre Rechte niedriger einstufen kann.

q Anwendbarkeit dieses Kriteriums auf den vorliegenden Fall:

Nach Ansicht des GH soll dieser neue Ansatz angewendet und im Einklang mit Ziel und Zweck der Konvention jede Einschränkung der Garantien des Art. 6 EMRK restriktiv ausgelegt werden.

Die Bf. brachte einen Strafantrag ein und machte ihre Schadenersatzansprüche geltend. Sie verzichtete nicht auf dieses Recht.

Das Verfahren fällt daher in den Anwendungsbereich des Art. 6 (1) EMRK, weshalb die Einrede der Reg., die Bsw. wäre unzulässig ratione materiae, zu­rückgewiesen werden muss.

q Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 EMRK:

Die Bf. bringt ua. vor, der Cour de Cassation wäre bei der Abweisung ihres Rechtsmittels nicht auf alle von ihr vorgebrachten Verletzungen der Strafprozess­ordnung eingegangen.

Art. 6 EMRK verpflichtet die Gerichte, die von den Parteien vorgebrachten Behauptungen, Argumente und Beweismittel ausreichend zu prüfen, ohne der Beurteilung ihrer Relevanz vorzugreifen. Auch wenn Art. 6 (1) EMRK die Gerichte verpflichtet, ihre Entscheidungen zu begründen, verlangt er keine detaillierte Antwort auf jedes vorgebrachte Argument. Der Cour de Cassation berücksichtigte alle von der Bf. vorgebrachten Beschwerdepunkte. Entgegen dem Vorbringen der Bf. war seine Entscheidung daher ausreichend begründet. Keine Verletzung von Art. 6 EMRK (einstimmig).

Anm.: Vgl. die vom GH zitierten Urteile König/D v. 28.6.1978, A/27 (= EuGRZ 1978, 406); Helmers/S v. 29.10.1991, A/212-A (= NL 1992/1, 13 = EuGRZ 1991, 415 = ÖJZ 1992, 304); Tomasi/F v. 27.8.1992, A/241-A (= NL 1992/5, 19 = EuGRZ 1994, 101 = ÖJZ 1993, 137); Pellegrin/F v. 8.12.1999 (= NL 2000, 13 = ÖJZ 2000, 695).

P.C.

Das Urteil im französischen Originalwortlaut (pdf-Format).